Nowhere Land


Im historischen Hafen Berlin liegt das Frachtschiff Heimatland, auf welchem die Galerie Hosek Contemporary ihr Programm zeigt.

 Für die Installation von Kg Augenstern wurde das Schiff umbenannt, so daß nun als Schiffsnamen anstatt HEIMATLAND, NOWHERE LAND am Bug zu sehen ist.

 Kg Augenstern entnahm für die gleichnahmige Installation im Sommer 2021, mit Hilfe von Schafwollbüscheln, welche an langen Tentakeln befestigt sind, an verschiedenen Stellen Schlamm vom Grund der Berliner Gewässer. Diese Stellen sind auf einer Karte aufgeführt und können in der Installation anhand eines auf den Boden gezeichneten Gewässerlaufes nachvollzogen werden. Die Schlamm- Wollmischung trockneten die Künstler zu eigenartigen, unangenehm riechenden, organisch anmutenden Blütenformen, welche nun den Laderaum in Form von bunten Sumpfblüten und an Tentakeln schwebenden Büscheln bevölkern.

Zudem sieht man zehn, zu fünf mannshohen Doppelobjekten zusammengefügte alte Stahlbojen. Diese sind im Kreis gruppiert, und werden von einer sich im Zentrum drehenden Tentakel bekratzt und dadurch in minimale Bewegungen versetzt.

 Die eigentümliche Stimmung im Laderaum des Frachtschiffes wird durch einen Soundloop mit den Unterwassergeräuchen, welche beim Schlamm sammeln entstanden verstärkt.

 

Photos © Hue Hale

Text zur Ausstellung 


Nowhere Land ist ein schwebendes und schwereloses Reich. Es ist ein dunkles und mystisches Reich aus kratzigen und subtilen elastischen Wellen. Ein Niemandsland, in dem die Zeit rhythmisch und arrhythmisch ruckelt und stoppt. Ein Klang- und visuelles Reich, in dem es keine Menschen gibt, und wenn jemand auftaucht, zittert und vibriert sein Körper unweigerlich. 

Das Schiff HEIMATLAND  wird umbenannt in NOWHERE LAND, Titel der ortsspezifischen Installation von Kg Auguenstern, die ein zeitliches Schweben im Niemandsland eröffnet, einem Ort, an dem die Zeit ihre Bedeutung aufgibt und ihr eigener Zeuge wird, verlassen und schwebend in einer Zwischenerde. Nowhere Land ist eine Illusion.

Ein klangliches, visuelles und olfaktorisches Eintauchen. Eine subtile und kraftvolle Schwingung. Eine kontinuierliche Bewegung, ein langsamer Tanz ohne Tänzer.

Es ist ein dunkles Land, in dem sich der Klang kratzend bewegt, betrieben von einem Tentakel auf 10 alten Bojen, von denen je zwei miteinander verbunden sind. Sie neigen und bewegen sich langsam in einem ungewöhnlichen Tanz der Materie. Einst schwebten sie im Wasser, jetzt bewegen sie sich, als würden sie in der Luft schweben, verankert im Niemandsland. Sie haben die Form von Sanduhren, leer oder voller Sandkörner, wobei selbst wenn Körner vorhanden wären, die Neigung der Bojen deren Fall verlangsamen würde. 

Die Substanz und die Wahrnehmung der Zeit werden eins, an diesem Ort vergeht die Zeit langsam oder existiert nicht. 

Ein in der Mitte platziertes Tentakel dreht sich in einem regelmäßigen Kreis und erzeugt ein unregelmäßiges Kratzen auf den Oberflächen der Bojen. Mal klingt das durchdringend / kraftvoll, mal werden sie berührt und mal gleitet es durch die Luft.

Es trifft auf die Bojen, was zu einer langsamen Bewegung derselben führt und ihre Neigung ändert. Es ist ein abwechslungsreiches Kratzen, bestehend aus unvorhersehbaren Schlägen und Unterbrechungen. Das Tentakel ist der Klangaktivator, der Deus ex machina im Niemandsland.

Wollene Büschel sind an den Spitzen der Tentakel, welche um die Bojen herum angeordnet sind. Blühende bunte Schlammblumen wachsen. Schön und hell für das Auge. Leicht und zerbrechlich. Sie sind aus prekärer Materie, eine verletzliche Form. Die schlammgetränkte Wolle wurde in der Luft und in der Sonne ausgebreitet und vereint organische und anorganische Stoffe, wodurch ein einzigartiges, zerbrechliches und festes Material entstand. Dieses wurde anschließend gefärbt, ein Transformationsprozess, der auf Alchemie und Kunstfertigkeit Bezug nimmt.

Die blühenden farbigen Schlammblumen verströmen einen starken und durchdringenden Geruch, der einem bis in die Knochen zu gehen scheint. Man zieht sich unwillkürlich zusammenSchönheit ist eine Täuschung und Illusion des Sehens. Der Geruchssinn offenbart ihre dunkle Seite.

Hydrophon-Aufnahmen der Unterwasser-Scratchings sind als Audio-Loop zu hören. Dies sind die Geräusche des Kratzens von Kg Augenstern auf dem Grund von Flüssen und Kanälen. Es sind Klänge, die in Wasser getaucht und beim Hören wieder aufgetaucht sind. Sie entstehen am Boden, wo Materie auf Wasser trifft. Es sind Kratzer am Boden, in der flüssigen Tiefe der Erde, wie Kratzer mit den Händen voll Schlamm, primitiv und wild, an den Wänden einer Höhle.

Im Wasser wird die Schallwelle durch die Schwingungen des Schädelknochens wahrgenommen und führt dazu, dass der Wahrnehmung ihre Richtung verloren geht. Beim Zuhören entsteht ein Gefühl des Orientierungsverlustes. Das Tentakel gleitet über das Material und berührt es und versinkt darin wenn es Schlamm ist, es kratzt heftig, wenn es auf feste Elemente trifft. Es scheint sich anzuzuhören, als wäre es nicht im Wasser. Auf dem Schlamm ist das Geräusch kaum wahrnehmbar und man hört dann die Bewegungen des Wassers an der Oberfläche. Dies erinnert an eine leichte und ruhige temporäre Spannung.

Diese Klänge sind in dem Raum, in dem sich die Installation befindet, hörbar. Die live Klänge und die Unterwasserklänge vermischen sich, wobei letztere im Hintergrund bleiben.Das Zuhören desorientiert die Wahrnehmung von Geräuschen und offenbart die visuelle Täuschung.

Die Mixed-Media-Installation von Kg Augenstern spielt zirkulär und transversal mit Bedeutungen und Zuschreibungen in einer eigenen Resonanz und erzeugt unzählige visuelle, klangliche und olfaktorische Kontingenzen zwischen den verschiedenen vorhandenen Elementen. Unzählige Kreise und Bahnen, materiell und immateriell, sinnlich und visionär, orientiert und desorientiert, mit hypnotischen und kinetischen Möglichkeiten.

Das Kunstwerk von Kg Augenstern wirft viele Fragen auf und offenbart einmal mehr die Instabilität des Daseins.

 

 

Ennio Pellicanò / N38E13

                                                                                                                 Kurator